Wenn der Kinderwunsch uns so beherrscht, dass wir kaum mehr frei atmen können, jeder dicke Bauch uns die Tränen in die Augen treibt und wir manchmal sogar Freundinnen Ihre Babies nicht mehr gönnen können, ist der Kinderwunsch nicht mehr gesund. Er beherrscht uns wie ein Wahn Tag und Nacht und zieht uns immer tiefer in ein schwarzes Loch.
Fast jeder hat von Frauen gehört, die just in dem Moment schwanger wurden, als sie von ihrem lang gehegten Kinderwunsch Abstand genommen und ihre Aufmerksamkeit vielleicht auf neue Lebensaufgaben gerichtet hatten, sei es ein neuer Job, ein neus Hobby, ein Hund oder gar eine Weltreise.
Dieses Phänomen – ein möglicher Zusammenhang von seelischen Faktoren und (Un-)Fruchtbarkeit – ist seit einiger Zeit auch Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen. Psychoanalytisch orientierte Forscher vermuten hinter medizinisch nicht zu klärender Unfruchtbarkeit bisweilen eine unbewusste Ablehnung der Schwangerschaft durch die Frau – basierend auf einem zwiespältigen Verhältnis zur eigenen Mutter und damit zur Mutterschaft. Der Heidelberger Psychologe, Psychotherapeut und Psychoanalytiker Dr. Tewes Wischmann hält diesen Ansatz jedoch für "unzureichend und in dieser Pauschalität falsch". Und die Bonner Professorin für gynäkologische Psychosomatik, Dr. Anke Rohde, betont, dass Kinderwunschpatienten keineswegs neurotischer sind als andere, sondern nichts anderes als einen "Ausschnitt aus der Normalbevölkerung" darstellen – ohne irgendwelche Auffälligkeiten, was ihre Persönlichkeit, Partnerschaft oder ihre Einstellung zur Sexualität betrifft.
Wenn Kinderwunschpatienten unter Stress und Anspannung leiden und vielleicht depressiver sind als ihre Mitmenschen, so kann dies weniger als Ursache, sondern eher als Folge des unerfüllten Kinderwunsches und der damit häufig verbundenen schweren Lebenskrise betrachtet werden, so Tewes Wischmann über die Ergebnisse der Studie "Heidelberger Kinderwunsch-Sprechstunde". 1.000 Paare mit Kinderwunsch nahmen zwischen den Jahren 1994 und 2000 an dieser Studie teil. Eine weiterer Anzeil dieser Gruppe von ihnen auch an den psychologischen Beratungen. Es zeigte sich, dass sich durch die Gespräche die im Zusammenhang mit dem unerfüllten Kinderwunsch entstandenen seelischen Belastungen bei diesen Paaren verringerten. Das einfach mal freie Reden über das Leid, den Druck und das Verheimlichen vor Freunden und Familie, entspannte die Paare.
Dies verbesserte jedoch bei dieser Gruppe nicht die Schwangerschaftsrate. Sowohl bei Paaren mit als auch Paaren ohne psychologische Hilfestellung betrug die Schwangerschaftsrate rund 25 Prozent.
Beim Heidelberger Kinderwunschprojekt konnte also kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen psychischer Entlastung des Paares und einer Verbesserung der Schwangerschaftsrate der Frauen festgestellt werden. Dennoch gilt es als wissenschaftlich erwiesen, so Wischmann, "dass starker psychischer Stress (z.B. berufs- oder partnerschaftsbedingt) sowohl bei der Frau als auch beim Mann zu deutlichen Störungen des Hormonhaushalts führen kann". "Umgekehrt", heißt es in der Kinderwunsch-Broschüre Nr. 4 der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), "kann das wichtige Zusammenspiel von Körper und Seele die Fruchtbarkeit auch positiv beeinflussen. So können sich etwa Ruhephasen im Alltag oder gemeinsame Aktivitäten in der Partnerschaft, wie das Erleben harmonischer Stunden zu zweit, günstig auf die einzelnen körperlichen Funktionen auswirken und damit eine Schwangerschaft wahrscheinlicher machen."
Diese Annahme wird beispielsweise durch die Ergebnisse einer Studie von Alice D. Domar an 184 ungewollt kinderlosen Frauen in Boston/Massachusetts gestützt. Eine Gruppe von Wissenschaftlern behandelte einen Teil der Frauen mit Entspannungstechniken und verhaltenstherapeutischen Verfahren und ließ einer anderen ein psychosoziales Unterstützungsangebot zukommen. Beide Verfahren erwiesen sich gegenüber einer nicht behandelten Kontrollgruppe als sehr wirksam: In den beiden Behandlungsgruppen lag die Schwangerschaftsrate bei 55 und 54 Prozent, gegenüber nur 20 Prozent bei der Kontrollgruppe.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Erfahrung, die Mitarbeiter von Kinderwunschpraxen berichten: Danach entsteht ein beträchtlicher Teil aller Schwangerschaften nicht durch die
Behandlung selbst, sondern beispielsweise während der Wartephase bzw. in einer Behandlungspause. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen wäre, dass Paare in dem Augenblick, da sie einen Teil
ihres Erfolgsdrucks und ihrer Ängste an die behandelnden Mediziner abgeben können, eine Entspannung erleben, die ihre Chancen schwanger zu werden verbessert.
(Quelle: urbia.de)
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